6.9. 2018. „Gemeinsam für ein neues Chile.” Auftaktveranstaltung von Allendes Internationale, Berlin.

Am 6. September präsentierte sich das Rechercheprojekt Allendes Internationale erstmals der Öffentlichkeit. Hinter dem Namen versteckt sich die Idee, einen neuen Blick die Geschichte des Internationalismus zu werfen: Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen und weitere Zeitzeugen teilen ihre Erinnerungen und analysieren gemeinsam ihre Erfahrungen während der Unidad Popular (UP), jenem revolutionären Transformationsprozess der Chile von 1970 bis 1973 prägte.

Während unser Team die Gespräche mit Zeitzeugen gewöhnlich im Privaten führt und aufzeichnet, stand an diesem Abend ein direkter Austausch im Vordergrund. Um im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin den internationalistischen Geist jener Tage hörbar zu machen, begann die Veranstaltung mit einer Auswahl lateinamerikanischer Lieder des 20. Jahrhunderts, interpretiert vom Berliner Chor Contrapunto und ihrer Leiterin Catalina Restrepo.

Die Zeilen des bekannten Lieds „Cambia, todo cambia“ schrieb der Chilene Julio Numhausers bereits nach dem Militärputsch 1973 im schwedischen Exil – ein emotionaler Blick zurück auf die 1000 Tage demokratischen Sozialismus:

Was sich nicht ändert, ist meine Liebe, Wie fern auch immer ich sein mag, Auch nicht das Andenken und der Schmerz den ich mit meinem Volk, meinen Leuten empfinde.

Auch unter den etwa 150 Gästen im Publikum waren zahlreiche Menschen, die sich der Geschichte der UP nicht mit dem Mikrofon nähern müssen. Sie haben diese Zeit selbst erlebt. Ihnen war es ein Leichtes mitzusingen. Für alle anderen verspricht das Projekt einen „Zugang zu kritischer Geschichtsarbeit“, wie Birte Keller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) bei der Begrüßung betonte. In Kooperation mit dem Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. (NPLA) unterstützt die RLS das Rechercheprojekt und erhofft sich von den Aktivitäten und Veröffentlichungen bis Mai 2020 auch Antworten auf die Frage “wie internationale Solidarität heute gelebt werden kann.”

Dem NPLA, der seit mehr als 15 Jahren vielfältige “Stimmen aus Lateinamerika” in Nachrichten und Radiosendungen für ein deutschsprachiges Publikum hörbar macht, ist ebenso die „aktuellen Komponente“ von Allendes Internationale wichtig. Auch heute stünden wir vor der Aufgabe „freie und demokratische Gesellschaft zu denken“, sagt Ute Löhning vom NPLA und findet, dass die Unidad Popular dafür weiterhin „einige spannende Visionen“ bereit hält.

Was genau das Publikum und die Nutzer*innen der Website internationalallende.org in den nächsten Monaten erwarten können, und warum es wichtig ist auch die Lebenswege von eher unbekannten Protagonist*innen auszuleuchten, darüber informierte Álvaro Garreaud, einer der Projektautoren. Für ihn haben die Zeiten der Unidad Popular zudem einen sehr persönlichen Bezug:

Während Fidel Castro und andere internationale Größen Chile als Bühne nutzten, kamen andere, um längerfristig die gesellschaftlichen Veränderungen mitzugestalten. Dazu gehörten auch die vier Gäste an diesem Abend: Klarita Müller-Plantenberg, Urs Müller- Plantenberg, Michèle Mattelart und Armand Mattelart. Sie alle kamen als junge Wissenschaftler*innen noch vor dem Wahlsieg Salvador Allendes nach Chile, aus Gründen, in denen sich politische und private Interessen mit einer Priese Zufall kreuzten. Nils Brock, Projektkoordinator von “Allendes Internationale” moderierte die Gesprächsrunde.

In den Erzählungen von Michèle Mattelart wurde schnell deutlich, dass der soziale Wandel schon lange vor der Wahl Salvador Allendes zum Präsidenten begann – so zum Beispiel während der Studierendenproteste an der Katholischen Universität von Santiago im Jahr 1967.

Michèle Mattelart | Auftaktveranstaltung/Lanzamiento, Berlin 2018 from International Allende on Vimeo.

Urs Müller-Plantenberg erinnerte sich im Gespräch an seinen zweiten Chile-Aufenthalt 1971 und beschwor noch einmal „die damalige Aufbruchstimmung“ herauf, zitierte aus Liedern im Radio die davon handelten, nicht nur den Präsidenten auszuwechseln, sondern gemeinsam ein neues Chile zu schaffen. Die ersten Jahre der UP, seien geprägt gewesen von einem Wirtschaftswachstum “und einer großen Euphorie”, mit der auch seine Forschungsgruppe im Studienzentrum der nationalen Realität (CEREN) sich intensiv beschäftigte.

Clarita Müller-Plantenberg berichtete später auch von Alltäglichem, den großen Demonstrationen zum Beispiel, an denen sie und ihre Kinder teilnahmen. Und sie erinnert sich an die gelebte Solidarität in Zeiten von Nahrungsknappheit und eines “sich zuspitzenden Klassenkampfs”

Armand Mattelart, der zunächst als Demograf und später als Medienwissenschaftler in Chile tätig war, resümierte am Ende einer langen Debatte, dass die Zeit in Chile der beste Moment seines Lebens gewesen sei. Bis heute beeindrucke ihn, wie sich damals die Bevölkerung gemeinsam erhoben und wie die Erfahrung gemeinsamen Handelns ihr Denken nachhaltig verändert habe.

Nach der Gesprächsrunde auf dem Podium fehlte es nicht an weiteren Fragen und Argumenten aus dem Publikum – dafür leider an der Zeit, die Debatte weiter in großer Runde zu vertiefen. Auch die interaktive Installation memoria-máquina der Bühnenbildnerin Pamela Cuadros entdeckten an diesem Abend nur wenige. Untermalt vom politischen Soundtrack der Klangkünstlerin Veronica Mota nutzen viele Anwesende vielmehr die Gelegenheit, Gesprächsfäden in kleinen Gruppen weiterzuspinnen, mit Empanadas und Rotwein – ganz im Geiste der Unidad Popular.

Gesungen wurde zuvor noch einmal von jenem anderen Chile, das mehr war als ein Wechsel im Präsidentenamt…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert